Fragen von Ingo Starz an Jurczok 1001, Zürich, März 2014.

 

1.Was macht für Dich die Bedeutung der Stimme und der Stimmperformance aus? (etwa im Gegensatz zum nur geschriebenen Text)

 

Die Stimme stellt eine zusätzliche Bedeutungsebene und Gestaltungsebene dar, die weit über den Text an sich hinausgeht. Ich denke da zum Beispiel an die ganzen Nuancierungen wie man etwas sagt. In einem Stück wie „D’ Wältwuche“ kommt das glaube ich sehr gut zur Geltung. Das Stück arbeitet mit Wiederholungen von einzelnen Worten. Was als Text auf dem Papier nicht sehr viel hergibt, entfaltet auf der Bühne Zeile für Zeile neue Assoziationen, weil mit der Stimme ganz spezifische Kontexte abgerufen werden (können). Der gezielte Einsatz der Stimme, ihr spezifischer Klang, kann eine Zitatfunktion übernehmen, die am Text nicht ablesbar ist. Ganz abgesehen von den Möglichkeiten der Pausensetzung: mit der Stimme ist ein x-faches an Zeichensetzung möglich und damit wiederum von Bedeutung.

 

2. Wie komponierst Du Deine Sprache? Bemerkungen zum Arbeitsprozess

 

Auf der Ebene der Produktion folge ich immer mehr einer Stimme, die aus einem Impuls heraus zu mir spricht und versuche immer seltener etwas zu „erfinden“. Diese Stimme diktiert mir Sätze, die bisweilen sehr weit weg sind, von dem, was ich mir vielleicht vornehmen würde, zu schreiben. Aber sie sitzen dafür von Anfang an, weil sie eben einem Gesagten entsprechen. Diese Stimme, eine innere zwar, ist der Stimme auf der Bühne schon sehr nahe. Das heisst, ich höre also bereits, wie ich die Sätze nachher sagen „will“. Umgekehrt inspiriert mich die Vorstellung, wie ich etwas auf der Bühne sagen könnte auch in der Gestaltung der Texte.

 

3. Wie resp. wo siehst Du Deinen Platz in der Spoken Word-Szene?

 

Ich komme ursprünglich vom Rap. Aber auch Ernst Jandl und die Wiener Gruppe haben mich geprägt. Und natürlich Künstler wie Gil Scott Heron und Laurie Anderson, die das Wort als Dichter und Musiker gleichermassen erfasst haben. Ich glaube, da ist mein Platz. Ich bin Poet und Musiker. Mit meinem Format „Spoken Beats“ gebe ich dem den nötigen Spielraum. Ich bin kein Fan konzeptueller Begrenzung. Jeder Text erfordert eine andere Form, eine andere Performance.

 

Darüberhinaus verbindet mich mit Melinda Nadj Abonji nun eine über fünfzehnjährige Zusammenarbeit. Auch in dieser Arbeit geht es immer darum, wie man Texte performt. Es kommen Prosatexte hinzu, die sich durch eine hohe Musikalität auszeichnen. Diese versuche ich mit einer vor- oder nachsprachlichen Stimme mitzuerzählen, Human Beatbox kommt dann als Element dazu.

Ich glaube, sowohl solo wie im Duo haben wir uns eine sehr eigenständige Position erarbeitet. Gerade letzten Sonntag haben wir im Rahmen des Festivals Neue Literatur in New York eine Performance gegeben am Deutschen Haus. Die Rückmeldungen waren unisono: So etwas haben wir noch nie gesehen und gehört.

Im Moment jagen sich gerade die Anfragen. In diesem Jahr habe ich denn auch den Schwerpunkt auf die Performances gesetzt. Und werde wohl erst nächstes Jahr wieder etwas aufnehmen.

 

4. Wie wichtig ist es Dir, als Künstler politisch Stellung zu beziehen?

 

Mir es ist wichtig, das auszudrücken, was mich beschäftigt. Wie ich vorher ausgeführt habe, schreiben sich ja viele Texte von selbst. Die politische Sprache provoziert nun per se eine Reaktion. Zum einen inhaltlich, sie bezieht ja eine Position, zum anderen sprachlich, rhetorisch. Da fühle ich mich schon angesprochen, weil ja mit „meiner“ Sprache gesprochen wird. Was bedeutet zum Beispiel die Headline „Die Schweiz bleibt die Schweiz“? Einen Begriff wie die „Masseneinwanderungsinitiative“ muss man sich doch mal vor Augen führen. Was macht ein solcher Begriff? Benennt „Masseneinwanderung“ ein bestehendes Phänomen oder schafft es nicht vielmehr ein negativ konnotiertes Szenario, was durch die bestehenden Regeln und Gesetze (vorausgesetzt der Markt reguliert sich selber) gar nicht eingetreten wäre, wie es die rechten Prognostiker in Millionenhöhe hochgeredet haben.

Ich habe da auch bei der zuständigen Stelle beim Bund nachgefragt: Die Namensgebung einer Initiative darf gemäss Verfassung nicht „irreführend“ sein. Wie konnte die letzte Initiative dann die „Kontrollstelle“ passieren? Antwort: Politik beginne schon bei der Namensgebung, damit sei zu rechnen. Das heisst am Ende: „irreführend“ darf etwas in der Sache sein, weil man auf der sprachlichen Ebene von mündigen Lesern ausgeht.

Die inflationäre Verwendung und Beanspruchung des „Souveräns“ höhlt unser Demokratieverständis gerade ziemlich aus. Das beschäftigt mich schon sehr.

Die nächste Dadawelle müsste eigentlich als Antwort vor der Türe stehen.

(Tut sie auch!)

 

5. Was wird man künftig von Dir im Roxy sehen/hören können? Zum Projekt in der nächsten Saison

 

Mein Format „Spoken Beats“, in dem wie gesagt, Spoken Word-Texte, Rap und Gesang zusammenkommen, werde ich weiterführen. Ich arbeite ja mit einem für mich programmierten Loopsampler, mit dem ich meine Stimme aufnehme. Da sind die Möglichkeiten der Technik, aber viel wichtiger, die Möglichkeiten meiner Stimme noch lange nicht ausgeschöpft. Arbeitstitel für das Programm im Herbst ist „Clap Your Soul“, darin geht es ganz kurz gesagt, genau um dieses körperliche Moment der Sprache, die Performance, die etwas freisetzt, was im gedruckten Text nicht zustande kommt.

 

Hören wird man ganz konkret die EP „All die Jahr“, deren Veröffentlichung auf den 5. September geplant ist. (Vertrieb irascible).