Die Sprachen der Stimme
Ueli Bernays, NZZ, 10. September 2014

 

Der Zürcher Rapper und Slam-Poet Jurczok 1001 stellt im Kaufleuten seine neue EP "All die Jahr" vor

Der Rapper und Slam-Poet Jurczok 1001 durchforstet die Grenzzonen von Musik, Poesie und Comedy. Jetzt macht er mit einer neuen EP und einem neuen Solo-Programm von sich reden.

«Jurczok 1001» – fast tönt das wie ein Produkt, wie ein Programm. Und wer «Jurczok» sagt, holt förmlich Anlauf mit der Zunge, damit die Endsilbe als trockener Downbeat aus offenen Lippen schlagen kann. Dabei ist «Jurczok» einfach ein Name, Roland Jurczoks Nachname. Durch die frühe Leidenschaft für Hip-Hop sei es zu erklären, sagt der vielseitige Zürcher Vokalist, dass vor Jahren daraus dann Jurczok 1001 wurde.

Farbige Wortkunst

Während sich seine Kollegen in Wädenswil damals vor allem als Breakdancer in Szene setzten, habe er sich anfangs noch vorab der Wortkunst gewidmet – der Wortkunst in ihrer gesprayten oder gemalten Farbigkeit. Zu Jurczoks Idolen zählte auch der New Yorker Graffiti-Pionier Taki 183, der die Nummer im Pseudonym von der 183. Strasse Manhattans ableitete. «So viele Strassen gibt es weder in Wädenswil noch in Zürich», sagt Jurczok lachend. Dass er seinen Künstlernamen schliesslich mit «1001» krönte, hatte andere Bewandtnis. Die Zahl spiele zum einen auf eine bekannte Rhythmusmaschine an – die Roland 808, auf der man immer mehr Hip-Hop-Beats produzierte.
Zum andern aber habe er Geschichten erzählen wollen, um darauf – sozusagen wie Scheherazade in «Tausendundeine Nacht» – seine Existenz zu bauen. Geschichten im weitesten Sinne, allerdings. Jurczoks 1001 schöpferischer Geist jedenfalls verwirklichte sich inskünftig in verschiedensten Formen: etwa in der Crossover-Band Too Fast, in der Rap mit Rock kombiniert wurde, später in der Zürcher Hip-Hop-Crew Mamanatua sowie in ersten Slam-Poetry-Versuchen. Entscheidend für seinen künstlerischen Weg wurde einerseits eine Bar an der Zürcher Elisabethenstrasse, wo er sich jahrelang, nächtelang als Freestyle-MC in Szene setzte.
Andrerseits formierte er zusammen mit der Schriftstellerin und Geigerin Melinda Nadj Abonji («Tauben fliegen auf») ein Duo, in dem sie im Zeichen der Spoken-Word-Tradition Mischformen von Lyrik und Musik pflegten (und pflegen). Jurczok 1001 trat immer wieder als Mundart-Rapper und Beatboxer auf. Seine wichtigsten Werkzeuge waren dabei das Mikrofon, das Loop-Gerät und vor allem die eigene Stimme. Mit diesem Instrumentarium bestreitet er heute auch Solo-Programme.

Die sogenannte Dringlichkeit

Seine Stimme hat Jurczok unterdessen in Kursen von Mirka Yemendzakis geschult, einer Koryphäe für Stimmbildung (sie arbeitete mit Theaterleuten wie Robert Wilson und mit Sängerinnen wie Meredith Monk zusammen). Was aber hat er bei ihr gelernt? «Yemendzakis' Grundprinzip ist, dass Ausdruck nichts mit Druck zu tun hat», erklärt er. «Die Stimme soll frei schwingen im Kehlkopf.» Eine frei schwingende Stimme? Widerspricht das nicht der Idee gepresster Dringlichkeit, die man von Pop-Sängern ebenso erwartet wie von Rappern? Jurczok 1001 misstraut der Klischeevorstellung dringlicher Expressivität. «Wenn jemand sich jahrelang mit Musik beschäftigt, dann ist sie für ihn auch dringlich.» Als Stimm-Künstler aber gehe es nicht bloss darum, quasi Gefühle aus der Seele zu drücken: «Oft will man ja vielmehr Gefühle bei den Zuhörern wecken.»

Gegen das Hopsasa

Jurczok 1001 hat sich schon länger von der Geradlinigkeit des Hip-Hop verabschiedet. Und wo die Rapper-Kollegen sprachliche Akzente meist auf gerade Beats setzten, da hört er vermehrt auf die innere und freiere Rhythmik der Wörter. Wenn die rhythmische Regelmässigkeit durchbrochen werde – das rhythmische «Hopsasa», über das sich schon Nietzsche lustig gemacht habe –, dann umso besser: «Brüche schaffen nicht nur Irritation, sondern auch Aufmerksamkeit.»
Wenn jemand wie Jurczok 1001, von Dichtern wie Ernst Jandl ebenso inspiriert wie von Stand-up-Comedians, auf verschiedenste Weise die Stimme erhebt, wie man so sagt, will er dann auch Botschaften verbreiten? «Ich versuche manchmal in Diskurse einzugreifen, indem ich als eine Art Live-Sampler Schlagwörter und Worthülsen aufnehme.» So sei er an einem Stück über den überstrapazierten Begriff «Souverän». Bezeichnend ist auch seine Nummer «D' Wältwuche», in der er «Weltwoche»-Chefredaktor Roger Köppel dadurch parodiert, dass er inständig und nachdrücklich den Titel «Weltwoche» intoniert.

Doch der Vokalist Jurczok 1001 versteht sich auch immer noch als Musiker, der Sounds und vokale Laute nicht einfach der Sprache unterordnen will. Oft sei gerade das Gegenteil der Fall: «Beim Improvisieren im Freestyle-Rap hört man in der Regel im Kopf schon zum Voraus den Endreim der nächsten Zeile. Und die Wörter folgen dann wie von alleine dieser lautlichen Vorgabe.» Und so ähnlich ist es auch, wenn er vom rhythmischen Sprechen ganz in den Gesang wechselt wie auf «All die Jahr», seiner neusten EP. Für diese Solo-Gesänge, die mehrstimmig geschichtet sind, ging er ganz von Stimmungen und Stimme aus, improvisierte Phrasen hat er zunächst geloopt und fixiert, die Lyrics aber entwickelte er erst im Nachhinein. So entstanden eine Art weltliche Gospel-Songs von eindringlicher Schlichtheit. Hier haben Töne und Silben tatsächlich Raum, um frei zu schwingen. Sprache und Klang sind quasi gerecht und glücklich vereint.

Jurczok 1001: All die Jahr (Masterplanet/Irascible). – Konzert: Zürich, Kaufleuten, 10. September, 20 Uhr.

 

Spoken Beats
Silvia Süess, WOZ. 8. März 2012  


Da summt einer mit feiner Stimme Melodien ins Mikrofon, nimmt sie mit dem Loop-Gerät auf, gibt sie wieder, bis ein ganzer Klangteppich entsteht. Dann singt, spricht oder rappt er darüber. Der Zürcher Spoken-Word-Pionier Jurczok 1001 ist eine eindrückliche Erscheinung auf und neben der Bühne und ein grossartiger Künstler. Seine "Spoken Beats" berühren. "Bitte gang mer jetzt usem Wäg, ich hol die i mitem Cadillac. Und du stiigsch tatsächlich i, will mini Stimm dich inezieht" singt und seufzt er in "Min eigene Scheiss". Und man möchte auch am liebsten mitfahren - es muss ja nicht gleich ein Cadillac sein.

 

Meine Wahl 
Corina Freudiger, Züritipp. 8. März 2012 


Wenn der Zürcher Spoken-Word-Künstler Jurczok 1001 seine Reime durchs Mikrofon jagt und seine Beatboxbeats loopt, werden Wörter zu Boomerangs und Sätze zu Düsenjets. Jurczoks Auftritte zu schauen, ist, als würde man mit den Ohren Gedichte lesen. In 3-D.

 

Gesprochene Bässe und gesungene Trompeten
Rafaela Roth, www.kulturkritik.ch. 15. März 2012
  

«Das isch de Bahnhof, de Träffpunkt, de chlii Platzspitz, da gsehsch wär dezue ghört und wär nu abblitzt. Technochöpf, Rocker und d’Italos mit de derbschte Mode und de neuschte Droge und all lueged so, als würdeds de Ernschtfall probe», mit dieser Anekdote, gut beobachtet am Bahnhof Wädenswil, holt Jurczok 1001 sein Publikum und gleichzeitig seine ersten Lacher ab. Doch Jurczok 1001 rezitiert nicht einfach Gedichte, sondern spricht seine Reime so rhythmisch, dass man dazu tanzen könnte.

Der 37-Jährige, mit bürgerlichem Namen Roland Jurczok, steht auf der Bühne des grossen Saals im Theater Neumarkt. Die Küchentheke, die Stühle, der Wäschekorb und das Klavier vom Bühnenbild des aktuellen Stücks «Woyzeck», sind an die Wände geschoben. Sie haben den zwei Mikrophonen, dem Loopsampler und dem Laptop Platz gemacht, die Jurczok für seine Kunst braucht. Der gebürtige Wädenswiler mit polnischen Wurzeln und blasser Haut trägt ein elegantes Sakko, ein schwarzes T-Shirt mit V-Ausschnitt und an den Füssen lässige Sneakers. Seine feinen Händen schmeissen die derbsten Rapper-Gesten und kurz bevor man sich im amerikanischen Getto glaubt, durchbricht der MC und Rapper sein Programm mit seiner feinen souligen Gesangstimme, die es bis in die höheren Register schafft.

 

«D’Wältwuche»

«Woher sölli d’Liebi neh? Woher söll s’Vertraue cho?», singt der Rapper mit wehmütiger Stimme über einen Klangteppich aus Bläsern und Schlagzeug, den er vor den Augen, beziehungsweise Ohren seines Publikums aufbaut. Dabei bedient er seinen Loopsampler so dezent mit dem Fuss, dass man überrascht ist, plötzlich eine zweite Begleitstimme zu hören. Die gesungenen Songs erinnern in Ansätzen an die Worksongs afroamerikanischer Feldarbeiter und die Raps können mit denen bekannter Mundartrapper mithalten. Auch Mundart-Techno erschallt mit «Gimmer din Hit» glaubwürdig aus der Human Beatbox. Der Dichter verbindet Rap und Lyrik, spielt mit abartigen Eigenarten des «Züridütsch», erzählt von Liebe, Selbstzweifeln, Sehnsüchten, Entscheidungsfindung und coolen Jungs. Dabei bringt er sein Publikum immer wieder zum Lachen und überrascht mit philosophisch angehauchten Freestyle-Einschüben. Bei einer knapp fünfminütigen Performance, bei der er nur die Wortkombination «D’Wältwuche» in verschiedenen Betonungen wiederholt, steht so viel zwischen den Zeilen, dass das Gelächter auch vor den hintersten Reihen keinen Halt mehr macht. Politisch, wie die Texte noch waren, als Jurczok 1001 im Duo mit Musikerin und Autorin Melinda Nadj Abonji tourte, sind sie in seinem aktuellen Soloprogramm «Spoken Beats» aber nicht mehr. Dafür erweist er sich als penibler Selbst- und Fremdbeobachter.

 

Anregende Werkschau

Die Abschlüsse seiner Songs wirken manchmal etwas beliebig und nicht sauber auf den Punkt gebracht. Dafür hat der Sänger, Dichter und MC eine höchst präzise Ausdrucksweise und unterhält sein Publikum, in dem sich blonde, braune, graumelierte bis silberige Frisuren mischen, mit Witz und Ironie. Mit Sprüchen wie «Ich begleite mich ja auch selber, also könnt ihr mich auch begleiten», sichert er sich die Sympathie und das Mitmachen der Zuschauer. Die wechselnde Werkschau von Raps über rhythmisch erzählte Texte bis hin zu den neuen souligen Songs ist anregend und zeugt von der Vielseitigkeit des Künstlers, der zu den Pionieren der Spoken-Words-Bewegung gehört. Das Publikum im Neumarkt klatschte ihn jedenfalls so oft auf die Bühne zurück, dass er sich genötigt fühlte zu sagen: «Aso lueg, ich gang jetzt hindere, und chum denn nüme vüre!»